Mai 3, 2024 10:00 am

Im Urteil 7B_110/2022 vom 11. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es im Verwaltungsstrafrecht um die Frage des nicht wieder gutzumachenden Nachteil betreffend eines Entsiegelungsverfahrens. Das Bundesgericht erklärte hierzu: «Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts im Fall der Entsiegelung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann […]. Werden dagegen (lediglich) andere Beschlagnahmehindernisse wie insbesondere ein fehlender hinreichender Tatverdacht oder ein mangelnder Deliktskonnex geltend gemacht, fehlt es grundsätzlich am nicht wieder gutzumachenden Nachteil […]. Woraus sich der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben soll, ist in der Beschwerdeschrift darzulegen, sofern dies nicht offensichtlich ist […].» (E.1.3).

Mai 2, 2024 6:39 am

Im Urteil 7B_454/2023 vom 27. März 2024 aus dem Kanton Basel-Landschaft befasste sich das Bundesgericht mit der Strafzumessung. Dabei ging es einerseits um die erhöhte Strafempfindlichkeit und andererseits und vor allem um die Verletzung des Beschleunigungsgebots von Art. 5 StPO. Bezüglich der Verletzung des Beschleunigungsgebots äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «Das Beschleunigungsgebot ist nur verletzt, wenn eine von der Strafbehörde zu verantwortende krasse Zeitlücke zu Tage tritt. Dafür genügt es nicht, dass diese oder jene Handlung etwas rascher hätte vorgenommen werden können. Einer Verletzung des Beschleunigungsgebots kann mit einer Strafreduktion, einer Strafbefreiung bei gleichzeitiger Schuldigsprechung oder in extremen Fällen als ultima ratio mit einer Verfahrenseinstellung Rechnung getragen werden […]» (E.3.1.3). Das Bundesgericht bejahte in diesem Fall die Verletzung des Beschleunigungsgebots: «Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf Art. 84 Abs. 4 StPO, welcher die Ausfertigung des Urteils grundsätzlich innert 60, höchstens 90 Tagen verlangt, nicht nachvollziehbar. Zwar handelt es sich dabei um eine Ordnungsvorschrift. Das massive Überschreiten dieser Fristen im vorliegenden Fall ist indessen nicht zu rechtfertigen und geradezu stossend. So hat das Bundesgericht bereits eine Begründungsfrist von 8 Monaten als massiv zu lang und Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot bezeichnet […]. Dies muss erst Recht für eine Dauer von zwei Jahren gelten. Das erstinstanzliche Verfahren insgesamt dauerte zudem über 4 Jahre […], was ebenfalls zu lang ist.» (E.3.3.2).

Mai 1, 2024 2:08 pm

An seiner Sitzung vom 1. Mai 2024 hat der Bundesrat Massnahmen beschlossen, mit denen Datenabflüsse bei IT-Lieferanten zukünftig verhindert werden sollen. Dabei stützt sich der Bundesrat auf den nun vorliegenden Untersuchungsbericht zur Administrativuntersuchung. Der Bundesrat hatte im August 2023 eine externe Stelle mit der Aufarbeitung der Ereignisse rund um den Datenabfluss bei der Xplain AG mandatiert.

Mai 1, 2024 10:59 am

Im Urteil 7B_127/2022 vom 5. April 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema forensische Sicherung (Spiegelung) von Daten vor der Siegelung. Dabei ging es auch um die Einschlägigkeit des Leiturteils BGE 148 IV 221. Das Bundesgericht erklärte hierzu u.a. Folgendes: «[…] ist das von ihr zitierte Leiturteil BGE 148 IV 221 hier nicht einschlägig, waren doch die von C. erhaltenen Datenträger der ehemaligen B. AG in Liquidation nicht gesiegelt, als sie im Februar 2022 gespiegelt wurden. […] Da die Datenträger gar nicht mehr rechtsgültig gesiegelt werden konnten, hätte das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch gar nicht in der Sache behandeln, sondern die sichergestellten Datenträger und deren Spiegelungen den Strafbehörden zur Durchsuchung und weiteren Verwendung freigeben müssen.  Ob die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdegegner kurz nach Erhalt der Datenträger im März 2021 die Möglichkeit hätte einräumen müssen, einen Siegelungsantrag zu stellen, erscheint mit Blick auf die oben zitierte Rechtsprechung zweifelhaft, muss aber an dieser Stelle nicht abschliessend beurteilt werden. Das Sachgericht wird die Verwertbarkeit der Datenträger als Beweismittel gegebenenfalls im Sachurteil zu prüfen haben.» (E.3.4).

April 25, 2024 11:41 am

Im Urteil 2C_83/2023 vom 26. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um schriftliche Äusserungen eines Rechtsanwalts (als amtlicher Verteidiger) gegenüber einem Bezirksrichter zum Thema der Befangenheit, welche sehr «kraftvoll» formuliert waren (Details im Sachverhalt). Das Bundesgericht stützte die Bejahung der Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA durch das Verhalten des Rechtsanwalts. Das Bundesgericht äussert sich in diesem Urteil auch ausführlich zum Bereich der zulässigen Ausführungen durch Anwälte, u.a. wie folgt: «Die gerichtspolizeiliche Disziplinierung eines Anwalts schliesst die kumulative Ahndung seines Fehlverhaltens durch die Aufsichtsbehörde über die Anwälte nicht aus […]» (E.6.1). «Als Berufspflicht obliegt den Anwältinnen und Anwälten in erster Linie, die Interessen ihrer Klientschaft bestmöglich zu vertreten. Als Verfechter von Parteiinteressen sind sie einseitig tätig. Sie dürfen energisch auftreten und sich den Umständen entsprechend scharf ausdrücken; dabei kann nicht verlangt werden, dass sie jedes Wort genau abwägen. Hinzunehmen ist auch ein gewisses Mass an übertreibenden Bewertungen und gar Provokationen, soweit sich die anwaltlichen Äusserungen weder als völlig sachwidrig noch als unnötig beleidigend erweisen […]. Aus der Wahrnehmung von Parteiinteressen fliesst nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch die Freiheit, die Rechtspflege zu kritisieren. Erweist sich die Kritik im Nachhinein als unbegründet, wird sie dadurch nicht unzulässig, ansonsten die Anwältinnen und Anwälte eine solche nicht mehr gefahrlos äussern könnten […]. Die in einem Ausstandsgesuch gegen eine Gerichtsperson getätigten Äusserungen eines Anwalts oder einer Anwältin sind deshalb in der Beurteilung nach Art. 12 lit. a BGFA - vorbehältlich des Rechtsmissbrauchs - nicht daran zu messen, ob das Ausstandsgesuch in der Sache begründet oder unbegründet ist […]» (E.6.2.2). «Unnötig verletzende Äusserungen und solche, welche in keinem Zusammenhang zum Streitgegenstand stehen oder gar wider besseres Wissen erfolgen, sind zu unterlassen […]. Ehrverletzende Äusserungen des Anwalts können zwar gerechtfertigt sein; sie müssen aber einen hinreichenden Sachbezug haben und dürfen nicht über das Notwendige hinausgehen. Insbesondere dürfen sie nicht in einer Art und Weise deplatziert und herabsetzend, unnötig polemisch und verunglimpfend sein, die klar über das erlaubte Mass an harter, jedoch sachlicher Kritik hinausgehen […]. (E.6.2.3).

April 25, 2024 4:17 am

Nicoletta della Valle tritt auf den 31. Januar 2025 von ihrer Stelle als Direktorin von fedpol zurück. Seit bald 10 Jahren leitet Nicoletta della Valle das Bundesamt für Polizei, nun wird sie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD verlassen. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 24. April 2024 den Rücktritt genehmigt.

April 24, 2024 10:16 am

Im Urteil 7B_57/2023 vom 14. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es ein Ausstandsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen einen Oberrichter, eine interessante Ausgangslage. Das Bundesgericht äusserte sich in diesem Fall allgemein zum Thema Ausstandspflicht und ging auch spezifisch auf Gerichtspersonen ein (E.3.1 und E.3.2). Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Entscheidungen, welche sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben, vermögen nicht per se einen objektiven Verdacht der Voreingenommenheit zu begründen (vgl. E. 3.2.2 hiervor). Die Garantie des unabhängigen und unparteiischen Richters verlangt auch nicht den Ausstand eines Richters aus dem blossen Grund, dass dieser in einem früheren Verfahren - ja sogar im gleichen Verfahren - zu Ungunsten des Betroffenen entschieden hat […]. Grundsätzlich liegt keine unzulässige Mehrfachbefassung bei einer Gerichtsperson vor, die an dem durch die Rechtsmittelinstanz aufgehobenen Entscheid beteiligt war und nach Rückweisung der Sache an der Neubeurteilung mitwirkt […]. Die am Entscheid beteiligten Richter der unteren Instanz stehen nicht von vorneherein unter dem Anschein der Befangenheit. Dafür bedarf es besonderer Umstände, namentlich konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die frühere Befassung mit einer Strafsache bereits zur festen richterlichen Gewissheit über den Schuldpunkt geführt hat […]» (E.3.3.3).

April 24, 2024 4:59 am

Im Urteil 7B_297/2023 vom 4. April 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der (geringen) Begründungspflicht beim Antrag auf Siegelung (hier ging es um ein Mobiltelefon). Das ZMG hielt die Begründungen «Anwaltskorrespondenz» und «Arztakten» für ungenügend. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, u.a. wie folgt: «[…] Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, war er nach der zitierten Rechtsprechung nicht gehalten, die Siegelungsgründe bereits beim Siegelungsantrag zu substanziieren. Nach der Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz machte er am 2. Mai 2023 geltend, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon vom Anwalts- und Arztgeheimnis geschützte Daten befänden. Damit hat er die Siegelung, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, rechtzeitig und gültig beantragt. Indem die Vorinstanz trotz gültigem Siegelungsantrag nicht auf das Entsiegelungsgesuch eingetreten ist, hat sie Bundesrecht verletzt.» (E.3.3).

April 23, 2024 10:17 am

Im Urteil 7B_172/2022 vom 21. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage des genügenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren bei Wirtschaftsdelikten (Betrug und Geldwäscherei). Dabei äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «In der Tat setzen nichtfreiheitsentziehende strafprozessuale Zwangsmassnahmen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht die gleich hohe Intensität eines Tatverdachts voraus wie Untersuchungs- und Sicherheitshaft (so etwa ausdrücklich Urteile 1B_691/2021 vom 21. Juli 2022 E. 2.2; 1B_193/2017 vom 24. August 2017 E. 3.3; 1B_516/2011 vom 17. November 2011 E. 2.1; 1B_212/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1; 1B_120/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 4). Vor diesem Hintergrund ist es ungenau, bei der Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO auf das Kriterium abzustellen, das in der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammengang mit der Überprüfung des dringenden Tatverdachts im Haftverfahren entwickelt worden ist. Richtigerweise ist für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren nur, aber immerhin das Vorliegen erheblicher und konkreter Hinweise auf eine strafbare Handlung verlangt.» (E.3.4). Das Bundesgericht bejahte im vorliegenden Fall einen genügenden Tatverdacht (E.4.3).

April 23, 2024 8:39 am

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_1323/2023 vom 11. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) den Schuldspruch gegen Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. Er hat sich in einem 2021 im Internet veröffentlichten Film-Interview in strafbarer Weise über eine Journalistin und die homosexuelle und lesbische Gemeinschaft geäussert. In Bezug auf die Ausgestaltung der Strafe wird seine Beschwerde durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen.