April 25, 2024 11:41 am

Im Urteil 2C_83/2023 vom 26. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es um schriftliche Äusserungen eines Rechtsanwalts (als amtlicher Verteidiger) gegenüber einem Bezirksrichter zum Thema der Befangenheit, welche sehr «kraftvoll» formuliert waren (Details im Sachverhalt). Das Bundesgericht stützte die Bejahung der Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA durch das Verhalten des Rechtsanwalts. Das Bundesgericht äussert sich in diesem Urteil auch ausführlich zum Bereich der zulässigen Ausführungen durch Anwälte, u.a. wie folgt: «Die gerichtspolizeiliche Disziplinierung eines Anwalts schliesst die kumulative Ahndung seines Fehlverhaltens durch die Aufsichtsbehörde über die Anwälte nicht aus […]» (E.6.1). «Als Berufspflicht obliegt den Anwältinnen und Anwälten in erster Linie, die Interessen ihrer Klientschaft bestmöglich zu vertreten. Als Verfechter von Parteiinteressen sind sie einseitig tätig. Sie dürfen energisch auftreten und sich den Umständen entsprechend scharf ausdrücken; dabei kann nicht verlangt werden, dass sie jedes Wort genau abwägen. Hinzunehmen ist auch ein gewisses Mass an übertreibenden Bewertungen und gar Provokationen, soweit sich die anwaltlichen Äusserungen weder als völlig sachwidrig noch als unnötig beleidigend erweisen […]. Aus der Wahrnehmung von Parteiinteressen fliesst nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch die Freiheit, die Rechtspflege zu kritisieren. Erweist sich die Kritik im Nachhinein als unbegründet, wird sie dadurch nicht unzulässig, ansonsten die Anwältinnen und Anwälte eine solche nicht mehr gefahrlos äussern könnten […]. Die in einem Ausstandsgesuch gegen eine Gerichtsperson getätigten Äusserungen eines Anwalts oder einer Anwältin sind deshalb in der Beurteilung nach Art. 12 lit. a BGFA - vorbehältlich des Rechtsmissbrauchs - nicht daran zu messen, ob das Ausstandsgesuch in der Sache begründet oder unbegründet ist […]» (E.6.2.2). «Unnötig verletzende Äusserungen und solche, welche in keinem Zusammenhang zum Streitgegenstand stehen oder gar wider besseres Wissen erfolgen, sind zu unterlassen […]. Ehrverletzende Äusserungen des Anwalts können zwar gerechtfertigt sein; sie müssen aber einen hinreichenden Sachbezug haben und dürfen nicht über das Notwendige hinausgehen. Insbesondere dürfen sie nicht in einer Art und Weise deplatziert und herabsetzend, unnötig polemisch und verunglimpfend sein, die klar über das erlaubte Mass an harter, jedoch sachlicher Kritik hinausgehen […]. (E.6.2.3).

April 25, 2024 4:17 am

Nicoletta della Valle tritt auf den 31. Januar 2025 von ihrer Stelle als Direktorin von fedpol zurück. Seit bald 10 Jahren leitet Nicoletta della Valle das Bundesamt für Polizei, nun wird sie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement EJPD verlassen. Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 24. April 2024 den Rücktritt genehmigt.

April 24, 2024 10:16 am

Im Urteil 7B_57/2023 vom 14. März 2024 aus dem Kanton Zürich ging es ein Ausstandsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen einen Oberrichter, eine interessante Ausgangslage. Das Bundesgericht äusserte sich in diesem Fall allgemein zum Thema Ausstandspflicht und ging auch spezifisch auf Gerichtspersonen ein (E.3.1 und E.3.2). Das Bundesgericht äusserte sich u.a. wie folgt: «Entscheidungen, welche sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben, vermögen nicht per se einen objektiven Verdacht der Voreingenommenheit zu begründen (vgl. E. 3.2.2 hiervor). Die Garantie des unabhängigen und unparteiischen Richters verlangt auch nicht den Ausstand eines Richters aus dem blossen Grund, dass dieser in einem früheren Verfahren - ja sogar im gleichen Verfahren - zu Ungunsten des Betroffenen entschieden hat […]. Grundsätzlich liegt keine unzulässige Mehrfachbefassung bei einer Gerichtsperson vor, die an dem durch die Rechtsmittelinstanz aufgehobenen Entscheid beteiligt war und nach Rückweisung der Sache an der Neubeurteilung mitwirkt […]. Die am Entscheid beteiligten Richter der unteren Instanz stehen nicht von vorneherein unter dem Anschein der Befangenheit. Dafür bedarf es besonderer Umstände, namentlich konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die frühere Befassung mit einer Strafsache bereits zur festen richterlichen Gewissheit über den Schuldpunkt geführt hat […]» (E.3.3.3).

April 24, 2024 4:59 am

Im Urteil 7B_297/2023 vom 4. April 2024 aus dem Kanton Zürich befasste sich das Bundesgericht mit der (geringen) Begründungspflicht beim Antrag auf Siegelung (hier ging es um ein Mobiltelefon). Das ZMG hielt die Begründungen «Anwaltskorrespondenz» und «Arztakten» für ungenügend. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut, u.a. wie folgt: «[…] Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, war er nach der zitierten Rechtsprechung nicht gehalten, die Siegelungsgründe bereits beim Siegelungsantrag zu substanziieren. Nach der Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz machte er am 2. Mai 2023 geltend, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon vom Anwalts- und Arztgeheimnis geschützte Daten befänden. Damit hat er die Siegelung, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, rechtzeitig und gültig beantragt. Indem die Vorinstanz trotz gültigem Siegelungsantrag nicht auf das Entsiegelungsgesuch eingetreten ist, hat sie Bundesrecht verletzt.» (E.3.3).

April 23, 2024 10:17 am

Im Urteil 7B_172/2022 vom 21. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage des genügenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren bei Wirtschaftsdelikten (Betrug und Geldwäscherei). Dabei äusserte sich das Bundesgericht u.a. wie folgt: «In der Tat setzen nichtfreiheitsentziehende strafprozessuale Zwangsmassnahmen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht die gleich hohe Intensität eines Tatverdachts voraus wie Untersuchungs- und Sicherheitshaft (so etwa ausdrücklich Urteile 1B_691/2021 vom 21. Juli 2022 E. 2.2; 1B_193/2017 vom 24. August 2017 E. 3.3; 1B_516/2011 vom 17. November 2011 E. 2.1; 1B_212/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1; 1B_120/2008 vom 24. Oktober 2008 E. 4). Vor diesem Hintergrund ist es ungenau, bei der Überprüfung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO auf das Kriterium abzustellen, das in der publizierten Rechtsprechung des Bundesgerichts im Zusammengang mit der Überprüfung des dringenden Tatverdachts im Haftverfahren entwickelt worden ist. Richtigerweise ist für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts im Entsiegelungsverfahren nur, aber immerhin das Vorliegen erheblicher und konkreter Hinweise auf eine strafbare Handlung verlangt.» (E.3.4). Das Bundesgericht bejahte im vorliegenden Fall einen genügenden Tatverdacht (E.4.3).

April 23, 2024 8:39 am

Das Bundesgericht bestätigt im Urteil 6B_1323/2023 vom 11. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) den Schuldspruch gegen Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. Er hat sich in einem 2021 im Internet veröffentlichten Film-Interview in strafbarer Weise über eine Journalistin und die homosexuelle und lesbische Gemeinschaft geäussert. In Bezug auf die Ausgestaltung der Strafe wird seine Beschwerde durch das Bundesgericht teilweise gutgeheissen.

April 16, 2024 4:46 pm

Electronic Monitoring (elektronische Überwachung) kann als Strafvollzugsform in Betracht kommen, wenn der vollziehbare Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe höchstens 12 Monate beträgt. Das Bundesgericht gleicht im Urteil 7B_261/2023 vom 18. März 2024 seine Praxis zum Electronic Monitoring derjenigen zur Halbgefangenschaft an. Bis anhin war Electronic Monitoring nur zulässig, wenn die Gesamtfreiheitsstrafe nicht über einem Jahr lag. Das Bundesgericht stützt sich insbesondere, nach eingehender Begründung, auch auf Lehrmeinungen. Das Bundesgericht argumentiert u.a. wie folgt: «Insgesamt liegen ernsthafte, sachliche Gründe vor, die für eine gleiche Bemessung der zeitlichen Höchststrafe von 12 Monaten bei den besonderen Vollzugsformen der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) und der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) sprechen. Die Gründe, die für eine unterschiedliche Behandlung dieser Vollzugsformen hinsichtlich dieser zeitlichen Voraussetzung in der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis vorgebracht wurden (vgl. oben E. 2.3.4-2.3.7), erweisen sich unter Berücksichtigung der berechtigten Kritik in der Lehre nicht mehr als stichhaltig. Aus der Auslegung der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung von Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB ergibt sich, dass angesichts der spezialpräventiven Zielsetzung (vgl. oben E. 2.3.10) und der grundsätzlichen Gleichstellung der besonderen Vollzugsformen (vgl. oben E. 2.3.11) in Abänderung der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei teilbedingten Freiheitsstrafen (Art. 43 StGB) für die Bemessung der massgebenden Maximaldauer von 12 Monaten sowohl bei der Halbgefangenschaft (Art. 77b Abs. 1 StGB) als auch bei der elektronischen Überwachung (Art. 79b Abs. 1 lit. a StGB) auf den unbedingt vollziehbaren Teil der ausgesprochenen teilbedingten Strafe und nicht auf die Gesamtfreiheitsstrafe abzustellen ist.» (E.2.4).

April 16, 2024 6:38 am

Die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts bestätigt mit Urteil CA.2023.32 vom 4. April 2024 die von der Vorinstanz (Strafkammer) Ende November 2023 ausgesprochenen Schuldsprüche (Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie Sachbeschädigung) gegen die beiden Beschuldigten, welche im März 2022 eine Bombe in einer Villa im Basler Bruderholzquartier gezündet und damit einen Sachschaden von rund CHF 170'000.- verursacht hatten. Ebenfalls bestätigt wird der erstinstanzlich gegen die beiden Beschuldigten ausgesprochene Schuldspruch des versuchten Herstellens, Verbergens, Weiterschaffens von Sprengstoffen und giftigen Gasen sowie der für die beiden Beschuldigten ergangene Freispruch vom Vorwurf der strafbaren Vorbereitungshandlungen von Delikten gegen Leib und Leben bezüglich des im Sommer 2022 versuchten Erwerbs von zwei Kilogramm Plastiksprengstoff C4 in Stuttgart (D), wobei sich die vermeintlichen Anbieter schliesslich als verdeckte Ermittler entpuppten. Der Erstbeschuldigte wird zudem wegen unerlaubten Waffenbesitzes schuldig gesprochen. Die erstinstanzlich ausgesprochenen Freiheitsstrafen werden von 60 auf 64 Monate bzw. von 74 auf 84 Monate erhöht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, für die beiden Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

April 15, 2024 6:09 am

Im Urteil 6B_1104/2023 vom 19. März 2024 aus dem Kanton Aargau befasste sich das Bundesgericht mit der strafrechtlichen Landesverweisung mit Fokus auf Rügen von Art. 66a Abs. 2 StGB bzw. Art. 8 Ziff. 1 EMRK (es ging um Betäubungsmitteldelikte und schwere Körperverletzung). Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat mit der Ex-Frau zwei Kinder Jahrgang 2000 und 2003. Dazu hat er mit der aktuellen Freundin eine gemeinsame Tochter (geboren im April 2023 und Schweizer Bürgerin). Die Eltern haben beide die gemeinsame elterliche Sorge, die Obhut liegt aber alleine bei der Mutter. Das Bundesgericht betonte generell-abstrakt die Bedeutung von Art. 8 EMRK (E.1.4.4) sowie das Kindswohl und die Kindsinteressen als wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung (E.1.4.5). Das Bundesgericht schützte in diesem Fall dennoch die Landesverweisung bzw. die Ansicht der Vorinstanz, u.a. wie folgt: «Dennoch durfte die Vorinstanz diese Interessen dadurch relativieren, dass die gemeinsame Tochter erst nach Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils und somit in Kenntnis der erstinstanzlich angeordneten Landesverweisung und in vollstem Bewusstsein um die damit verbundenen ausländerrechtlichen Folgen gezeugt wurde. Für die Frage, ob der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens "notwendig" im Sinne von Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist, gilt es auch eine allfällige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat zu Beginn der familiären Bindung miteinzubeziehen […]. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist zudem gestützt darauf, dass sowohl seine Partnerin als auch seine Tochter das Schweizer Bürgerrecht besitzen, das Verschieben des Familienlebens ins Ausland keinesfalls per se unzumutbar […]. Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, wonach das Recht auf Achtung des Familienlebens des Beschwerdeführers i.S.v. Art. 8 Ziff. 2 EMRK einer Landesverweisung nicht entgegenstehe.» (E.1.6.4).

April 15, 2024 3:14 am

Im Urteil 6B_17/2022 vom 18. März 2024 (zur amtl. Publ. vorgesehen) befasste sich das Bundesgericht mit dem Thema der qualifizierten Widerhandlungen gegen das BetmG (Art. 19 Abs. 2 BetmG) und der Handlungen mit Kleinmengen von jeweils weniger als 18 g Kokain, welche aber gesamthaft diese Menge überschritten haben. Das Bundesgericht machte dabei generell-abstrakte Ausführungen und Auslegungen, auch mit Hinweis auf die Lehre und die Materialien, von fast schon epischer Länge (E.1.4 ff. und insbesondere E.1.6). Das Bundesgericht kommt zur folgenden Konklusion und bestätigt seine Praxis: «Zusammenfassend liegt nach dem geltenden Recht ein mengenmässig schwerer Fall gestützt auf Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG somit weiterhin nicht nur dann vor, wenn eine einzelne Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz oder mehrere solche Widerhandlungen, die ein zusammengehörendes Geschehen und damit eine natürliche Handlungseinheit bilden, eine qualifizierte Betäubungsmittelmenge betreffen, sondern auch dann, wenn eine entsprechende Menge nur unter gesamthafter Betrachtung mehrerer, rechtlich selbständiger Widerhandlungen erreicht wird. Ob mehrere Widerhandlungen als ein zusammengehörendes Geschehen erscheinen oder ob sie voneinander unabhängige Einzelhandlungen darstellen, bleibt für die Frage des Vorliegens eines mengenmässig schweren Falls folglich ohne Belang. In der einen wie der anderen Konstellation sind die Gegenstand der einzelnen Handlungen bildenden Betäubungsmittelmengen zu addieren, um das Vorliegen eines mengenmässig schweren Falls zu bestimmen. Anlass, von dieser etablierten Rechtsprechung abzuweichen, besteht nicht.» (E.1.6.2.7).